Gemeinschaftliches Wohnen – Exkursion zu 3 innovativen Wohnprojekten in Darmstadt
Architekturanthropologische Veränderungen gehen mit einem veränderten Selbstverständnis der Menschen einher, die bei der Entwicklung neuer Wohnraumkonzepte nicht nur finanziell, sondern insbesondere ideell mitwirken. Von der erfolgreichen Umsetzung solcher Konzepte haben sich in der vergangenen Woche einige Mitglieder des Vereins Gemeinsam Wohnen i.d. Region Koblenz in Darmstadt, Kranichstein, überzeugt. Dort wurden drei verschiedene Wohnprojekte besichtigt.
Frau Birgit Diesing, Architektin und Stadtplanerin, Darmstadt, stellte das Konzept Genossenschafts-Wohnprojektes WohnSinn eG vor. Es wurde 1992 von einer Initiativgruppe gegründet und realisierte zwei U-förmige Gebäude mit geringen Flächenverbrauch, energiesparenden und ökologischen Baumaterialien und in Passivhaustechnik. Um ein generationenübergreifendes Zusammenleben und eine lebendige Nachbarschaft zu fördern, wurde eine sozial- und altersgemischte Bewohnerschaft mit Alten und Jungen, Menschen mit geringem und höherem Einkommen, Alleinstehenden und Familien, Menschen mit und ohne Behinderung und Menschen unterschiedlicher Herkunft angestrebt. Die Grundstücke für die Wohnprojekte wurden im Rahmen eines Erbpachtvertrages erworben. Ein Drittel der Wohnungen sind öffentlich geförderte Sozialwohnungen. Ein weiterer Teil der Wohnungen sind Mietwohnungen, die mit Hilfe der Genossenschaftseinlagen der Bewohner finanziert wurden. Die restlichen Wohnungen wurden als eigentumsähnliche Dauerwohnrechte an Genossenschaftsmitglieder verkauft. WohnSinn eG ist Preisträger von mehreren Wettbewerben wie u.a. Aktion Hessenhaus 2005 (Günstiges und qualitativ hochwertiges Bauen), Klaus-Novy-Preis 2007 und Genossenschaften Jung und Attraktiv (Genossenschaftstag 2006). 73 Wohnungen umfasst diese Anlage mit 8% der Nutzfläche für Gemeinschaftsräume und in der Praxis kann man sich davon überzeugen, dass das Zusammenleben bei WohnSinn durch Selbstverpflichtung zu nach-barschaftlichen Beziehungen und gegenseitiger Hilfe geprägt ist.
Der zweite Besuch galt einem generationenübergreifenden Mieter-Wohnprojekt, WohnArt 3 e.V. Das ist ein Projekt der Bauvereins AG Darmstadt und dem Mieterverein WohnArt 3 mit Unterstützung der Wohnsinn, die mit ihrer Genossenschaftgründung Vorreiter gewesen war. In diesem Mehrgenerationenwohnhaus, das auf einem Gelände von 3000 Quadratmetern in einem großen Winkel mit 3 Häusern bis zu 4 Etagen direkt neben der Wohnsinn eG liegt, gibt es drei rollstuhlgerechte, 30 frei finanzierte und 14 öffentlich geförderte Mietwohnungen, in denen 65 Erwachsene und 20 Kinder leben. Mitgestaltung bis hin zur Selbstverwaltung hat bei diesem Projekt oberste Priorität, ebenso die gemeinschaftliche Organisation von Freizeitaktivitäten. Diese eigenständige Verwaltung geht einher mit einer größeren Unabhängigkeit und einer Reduzierung der Nebenkosten. Ein Teil der Freizeitgestaltung kann durch solche Einsparungen finanziert werden. Mit der Größenordnung dieses Wohnprojektes wurden eine Reihe von Vorteilen zu erreicht, die z.B. bei dem einzigen Mietwohnprojekt in Koblenz der Koblenzer Wohnbau GmbH, in die Wege geleitet durch die Fraueninitiative Lokale Agenda 21 in Koblenz und Region, mit nur 11 Wohnungen nicht realisierbar waren. Es gibt einen schönen Innenhof mit Kinderspielplatz, zwei Gäste-Appartements, eine Werkstatt, einen großen und kleinen Gemeinschaftsraum und gemeinschaftliche Pkw-Nutzung. Zusätzlich sind ein Wasch- und Trockenraum, eine Fahrradwerkstatt im Keller mit Tageslicht, ein Büro und auch anmietbare Büros (Home Office) sowie Carsharing entstanden. Das Haus ist auch als Passivhaus mit überdurchschnittlicher Wärmdämmung isoliert, die Fenster und Türen sind 3-fach verglast und ein Lüftungssystem kontrolliert die Zu- und Abluft. Bei Bedarf, z.B. der älteren oder behinderten Bewohner, wird die zugeführte Luft aufgeheizt. Durch das Lüftungssystem entsteht ein gleichmäßig temperiertes Raumklima, das für Allergiker bestens geeignet ist. Neben den überzeugenden Eindrücken sind die Vorteile des Wohngebietes Kranichstein anzuführen: rundum Grünanlagen mit drei Seen, öffentlicher Nahverkehr mit gut ausgebauten Radwegen zur Innenstadt, Schulen, Kitas, Jugendeinrichtungen und Bürgerzentrum. Dieses Wohngebiet zeichnet sich als ein solides Experimentierfeld aus, in dem weitere Wohnprojekte geplant sind.
Auch im dritten Wohnprojekt, eine neugegründete Baugenossenschaft mit dem Namen AGORA Wohnen eG in Kranichstein, ist das Teilen von Ressourcen ein zentrales Anliegen. Ermöglicht wurde die Finanzierung durch Genossenschaftsanteile, Privatdarlehen und Spenden. Wie auch bei den vorherigen Projekten verfügt die AGORA Wohnen eG über eine sehr gute Infrastruktur, so dass eine Anbindung sowohl mit dem Stadtzentrum von Darmstadt als auch mit Frankfurt a./M. gewährleistet ist. In vier Häusern mit 50 Wohneinheiten wohnen 71 Erwachsene und 18 Kinder. Die Besonderheit von AGORA Wohnen eG ist die Einrichtung eines Kulturzentrums mit Gaststätte, die sich in kurzer Zeit zu einem wichtigen Kommunikationsmittelpunkt entwickelt hat. Das Kulturzentrum hat sich vielfältige Aufgaben, wie Kurse, Konzerte und Ausstellungen vorgenommen. Das Agora-Lokal mit der portugiesischen Übersetzung „Auf geht´s!“ liegt direkt am Park Rosenhöhe und bietet mit 60 Innen- und auch Außenplätzen am Anfang des generationenübergreifenden Wohnprojektes Raum für alle und eine vielfältige Küche. Hier wurde entgegen der Feststellung von Walter Gropius „Die Krankheit unserer heutigen Städte und Siedlungen ist das traurige Resultat des Versagens, menschliche Grundbedürfnisse über wirtschaftliche und industrielle Forderungen zu stellen.“ deutlich, dass sich für die von Walter Gropius formulierten Zielkonflikte Lösungswege finden lassen.
Darmstadt mit seinen 160 000 Einwohnern hat bis heute 10 Wohnprojekte und vier Wohnwagen-Stellplätze mit Vereinsstruktur. Das sind überzeugende Ergebnisse von Initiativ-Gruppen für verbindliche Gemeinschaftlichkeit, die nach Überzeugung der Vereinsvorsitzenden, Christine Holzing und Mitaktiven, nur in Zusammenarbeit mit kommunalen Entscheidungsträgern durch Bereitstellung von Bebauungsflächen mit Planungschancen zustande kommen.
Die Mitglieder des Vereins Gemeinsam Wohnen i.d. Region Koblenz laden interessierte Menschen ausdrücklich ein, an der Verwirklichung ähnlicher Wohnprojekte in Koblenz und Umgebung mitzuwirken.